Samstag, 14. November 2009

Vater und Kind - ein Roman

David Wagner
Spricht das Kind
Literaturverlag Droschl 2009, geb., 144 S., ISBN: 9783854207511, 18.- €, 32.90 SFR
Kindsein ist bei David Wagner nicht zu denken ohne Vatersein, ja, erst das Eingebettetsein in die Abfolge der Generationen macht den besonderen Zustand der Kindheit aus. Der Anblick des eigenen Kindes weckt Erinnerungen an das Kind, das man selbst einmal war, über das einen, später dann, die eigenen Eltern informiert haben.
David Wagner geht in Spricht das Kind den kleinen Ritualen und Abläufen auf den Grund, die »das Kind« tagtäglich vorführt. In ihnen spiegeln sich die Moden der unmittelbaren Gegenwart, aber auch die Kindheit des Vaters und sogar der Großeltern. Ein ruhiger, ganz unaufgeregter Blick ist in diesem Buch am Werk, und dazu ein ebenso gutes Gehör für die Sprachen der Kindheit. »Und so wie ich, das mag man mir ja vorwerfen, nicht erwachsen werden will, so wollen meine Eltern nicht aufhören, Eltern zu sein. Wollen nicht loslassen, wollen nicht Großeltern sein.«
Spricht das Kind ist ein wohltuend liebevolles Buch, in dem nichts an der Kindheit zum Problem wird, aber alles Anlass zu Betrachtung und Nachdenken.
Berliner Kindheit um zweitausend. Walter Benjamins berühmtes autobiografisches Buch steht im Hintergrund dieses ganz außergewöhnlichen Skizzenbuchs, das allerdings nicht in die Vergangenheit hinabtaucht, wie Benjamin in seiner Berliner Kindheit um neunzehnhundert, sondern in das Kindsein an sich. »Es liegt ein Trost in der Wiederholung der immergleichen Geschichte. Zum Glück. Also nochmal.«
Textauszug: " ... Das ist ein Spaten, sagt das Kind im Sandkasten, das ist eine Schaufel, das eine Schippe. Und gräbt so seinen Wortschatz aus, führt vor, zeigt seinen Hort an Worten.
Das Kind malt eine Sonne. Eine Wolke. Sagt, das sei ein Baum. Was sie malt, sieht aber nicht einmal von weitem, nicht im entferntesten danach aus. Aber wenn sie doch sagt, daß es ein Baum sei? Ist es nicht nur eine Abmachung?
Ich selbst weiß ja auch nicht so genau, was Wörter bedeuten. Vielleicht weiß ich es bloß, weil ich weiß, was sie nicht bedeuten. Manchmal, am Rand meiner eigenen Sprachkenntnis, hört die Sicherheit auf, stehe ich plötzlich auf weichem Boden, weiß nicht mehr, was das eine oder andere nun tatsächlich heißen soll, und sinke, Suppe, Sumpf, Strumpf.
Vielleicht weiß auch das Kind, was die Wörter bedeuten, nur, weil es weiß, was sie nicht bedeuten. Es schwimmt erst mal mit in der Sprache, die um uns fließt.
Als Kind hatte ich eine Zeitlang die Vorstellung, alles sei aus Wörtern gemacht, ich glaubte, die ganze Welt setze sich aus sehr klein geschriebenen Wörtern zusammen, die Wand, der Teppich, der Stuhl, jeder Quadratzentimeter meines Zimmers bestand aus tausenden, unleserlich klein geschriebenen Wörtern, die Wand aus dem tausendfach geschriebenen Wort Wand, die Tapete aus dem fein geschwungenen, abertausendfach wiederholten Wort Tapete, und in der Nacht lag ich auf einem Kissen, dessen Bezug aus dem Wort Kissenbezug gewebt und dessen Plumeau tausendfach mit dem Wort Kopfkissenfüllung gestopft war. Oder doch mit Daunen?
Ich wußte nicht, wie viele Wörter ich in meinem Zimmer zusammenbringen könnte, ich sah und las Bett, Wand, Schalter, Lampe, Glühfaden, Bilderrahmen, ich lag auf der aus dem Wort Matratze gemachten Matratze, ich schloß die Augen und sah die Schatten, die Lampe, das Fenster, den Vorhang, das Fensterkreuz, den Lichtschein vom Flur, der aus dem Wort Licht bestand, und so weiter.
Bitte, eine Frage, sagt das Kind, was ist eine Schippe? - Presseauszüge

Keine Kommentare: