Sonntag, 10. Juli 2011

Kinder sind gut, wenn man sie lässt


Markus Waldvogel
Bilder der Bildung - Zehn Bilder - ein Essay
Verlag die Brotsuppe, 96 S., ISBN 978-3-905689-08-2, Euro 12,00, CHF 19,80
«Kinder sind gut, wenn man sie lässt! Dieser Gedanke stösst an seine republikanischen Grenzen.» – «Oft wird über Schule gesprochen, als hätte man es mit den Kindern von einst zu tun.» – «Wer aus eigenem Antrieb weder liest noch schreibt, kann in einer anspruchsvollen Schule keinen Erfolg haben.» – «Exemplarisches Lernen ist ein Plastikwort». – «Die linksbürgerliche Bildungspolitik konnte nie über ihren Schatten springen: zu keiner Zeit konnte verhehlt werden, dass Leistung gefragt war.» – «Die Grundstudien an den Hochschulen sind oft nicht mehr in der Lage, seriös in die Breite eines Gebietes einzuführen.» – «Der Mythos von der Halbwertszeit des Wissens wirkt ausgesprochen kontraproduktiv.»
Schon ein paar Zitate aus dem ungewöhnlich freidenkerischen Essay machen deutlich: Hier wird von einem begeisterten Lehrer, Erwachsenenbildner und Publizisten ohne Rücksicht auf jegliche politische Mainstreams über Bildung geschrieben. Praxisnah und doch philosophisch, bedenklich, angriffig und ohne locker zu lassen. Sei es der neue Bildungszentralismus, das blosse Nützlichkeitsdenken, die gängige «Diplomitis» oder der grassierende Evaluationswahn: Bildungspolitische Trends werden unter die Lupe genommen, gewogen, oft als zu leicht befunden und gebrandmarkt als das, was sie sind: Moden ohne Tiefgang, Produkte eines falschen Gedanken von Chancengleichheit und Produkte einer staatlichen Regulationssehnsucht, die mehr an Strukturen glaubt als an gut ausgebildete Lehrpersonen. Aber auch das neoliberale Steckenpferd einer effizienten, abgespeckten «Schule» wird entlarvt: Es ist allzu offensichtlich, dass Gelder umverteilt werden sollen. Die verkürzten Bildungsgänge vorab im Tertiärbereich führen häufig dazu, dass sich Hochschulabgänger/innen, um im Markt bestehen zu können, teure Bildungsmodule kaufen müssen. Schulen müssen (wieder) umfassend bilden dürfen. Sie dürfen nicht länger ein Tummelfeld für jene abgeben, deren sozialromantische Ideen in der Politik zu kurz kommen. Sie können auch nicht für alle Fragen der Familien- und Migrationspolitik gerade stehen. Und sie werden beileibe nicht besser, wenn sie sich am neoliberalen wirtschaftlichen Wertekorsett orientieren (müssen). Damit Unterricht auf allen Ebenen wieder in erster Linie ein «Lernen an den Dingen und an sich selbst» bedeuten kann, braucht Bildung eine Vision, die über Strukturdebatten hinausgeht und den Mut, bildungspolitische Tabus wie das Verhältnis zwischen Elternhäusern und Schulen resp. Erziehung und Lehre anzusprechen.
Der Essay «Bilder der Bildung» könnte eine Gegenbewegung zur herrschenden und generalstabsmässig von oben nach unten organisierten Zentralisierungs- und Evaluationsmaschinerie im Bildungswesen einläuten. Nicht zuletzt, weil er sich wohltuend zwischen Stühlen und Bänken positioniert.