Rainer Rappmann (Hrsg.)
Denker, Künstler, Revolutionäre - Beuys, Dutschke, Schmundt, Schilinski: Vier Leben für Freiheit, Demokratie und Sozialismus
Mit Beiträgen von Joseph Beuys, Heinrich Böll, Wilfried Heidt, Karlheinz Flau, Henning Köhler, Walter Kugler, Rainer Rappmann, Ulrich Rösch, Peter Schilinski, Wilhelm Schmundt, Johannes Stüttgen und Ulle Weber.
FIU-Verlag, 180 S., 130 Abb., ISBN : 978-3-928780-13-1, 24,00 Eur[D] / 24,70 Eur[A] / 37,00 CHF
Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben: Diese qualitativen Unterschiede im Begreifen der Ideale der Französischen Revolution hat zum ersten Mal Rudolf Steiner vollzogen. An seine Forschungen als auch konkret realgeschichtlichen Bemühungen knüpften bewußt Wilhelm Schmundt und Peter Schilinski an, aber auch Joseph Beuys, der wiederum mit den beiden Letztgenannten intensive Erkenntnis- und Arbeitskontakte pflegte. Nicht mit Steiner, aber mit Schilinski und Beuys hatte Rudi Dutschke persönlichen Kontakt, der von demselben Geist, nicht aber von seiner identischen Auslegung, wie sie von Steiner vorgetragen wurde, angeregt war. Es bestand ein menschlich-schicksalhafter Zusammenhang zwischen den Genannten, und die hier angesetzte Betrachtung geht davon aus, daß die jeweilige Dreigliederungsauslegung und -ausführung die Erkenntnis und Tat jeweils einer ganz bestimmten Persönlichkeit ist. (Rainer Rappmann/Hrsg.).
Was verbindet die Namen Joseph Beuys, Rudi Dutschke, Peter Schilinski und Wilhelm Schmundt? Es ist der rote Faden eines emanzipatorischen Menschheitsimpulses, der geschichtlich in einem Fall als Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in einem anderen in der Begrifflichkeit "Dreigliederung des sozialen Organismus", "Freier demokratischer Sozialismus" oder "Soziale Plastik" in Erscheinung getreten ist und der das Gesicht und die Handschrift unterschiedlichster Menschen getragen hat und trägt. Hierzu gehören nicht nur – aber doch in ganz besonderer Weise – die vier Menschen, um die es in dieser Publikation geht. Sie haben ihr Leben diesem Impuls gewidmet. – Das Buch verfolgt ihre Spuren von Mitte der 40er bis Ende der 80er Jahre, also über einen Zeitraum von über 40 Jahren und beleuchtet – insbesondere aus der Sicht von Weggefährten aber auch in Selbstzeugnissen – das WIE ihres Wirkens und Zusammenwirkens.
Aus einem Interview mit Joseph Beuys zur direkten Demokratie (Volksabstimmung)
Rappmann: Inwieweit wird eine zukünftige Gesellschaft von direktdemokratischen Formen geprägt sein?
Beuys: Eine zukünftige Gesellschaft muß selbstverständlich von direktdemokratischen Formen geprägt sein.
Rappmann: Es wird ja immer gesagt: Wir können nicht über alles und jedes abstimmen!
Beuys: Nein, das ist ja in dem Augenblick auch geklärt, wenn man eine Vorstellung vom sozialen Organismus hat – wie also das Recht im sozialen Organismus wirkt –, dann weiß man, daß nicht jedermann über alles abstimmen kann, sondern daß sich das Demokratische, d.h. das Rechtselement, abspielen muß nach verschiedener Weise, daß Grund- und Lebensrechte durchaus von der Mehrheit entschieden werden müssen, beispielsweise also, daß die Mehrheit durchaus partizipieren kann an der Herstellung einer Volksverfassung, einer demokratischen Verfassung, daß sie aber nicht Sach- und Fachfragen, wo Sachkenntnis die Voraussetzung für die Urteilsbildung ist, durch Mehrheitsbeschlüsse entscheiden kann, z.B. über das Schulrecht dieser oder jener Schule. Das kann nur ein Rechtselement sein, das von denen praktiziert wird, die substantiell diese Institute tragen, in Autonomie tragen. Das sind ja alles jetzt schon Zukunftsbilder; denn heute haben wir das Modell ja nicht. Die Waldorfschule ist ja auch keine autonome, sich selbst verwaltende Schule. Sie ist ja noch weitgehend abhängig und ist noch lange keine freie Schule. Aber ich meine, in dieser Vorstellung muß doch enthalten sein, daß demokratische Prozesse sich so abspielen und sich aus Mitgliedschaften abspielen. Mit 'Mitgliedschaften' meine ich ganz einfach aus Menschen heraus, die die Probleme am Ort dann kennen, die natürlich nicht plebiszitär rechtlich eingerichtet werden, sondern aus Eigeneinsichten sich rechtlich einrichten und dann natürlich nicht gegen die allgemeine Volksverfassung verstoßen dürfen, z.B. nicht gegen ein zukünftiges Finanzrecht verstoßen dürfen.
Das ist ja das große Bild der Rechtsform: der Stammbegriff der Rechtsform. Auf den müssen wir immer schauen. Das ist das, was die Volksverfassung ist, was die demokratische Verfassung ist. Sie bezieht sich ja gar nicht auf Vorgänge in den einzelnen Unternehmungen. Rechtsformen, die sich ja die einzelnen Unternehmungen für ihre Arbeit herstellen müssen, müssen also auf Eigentätigkeit der Mitgliedschaften an den jeweiligen Produktionsstätten ja geschehen. Also müssen demokratische Entschlüsse so und so plebiszitär in Gang kommen, aber auch durch die Unternehmungen in Gang kommen.
Das ist ja auch der totalisierte Kunstbegriff und damit bin ich ja auch ganz eng mit (Wilhelm) Schmundt zusammen, auf eine ganz andere Art und Weise zwar; denn in dem Augenblick, wo sich der Kunstbegriff totalisiert, bezieht er sich ja nicht nur auf die Kultur, sondern bezieht sich auf jede menschliche Tätigkeit: „Jeder Mensch ist Künstler!" D.h. die Kunst wird zum Modell des Gestaltens. Die Frage des Gestaltens ist also eine universelle und ist nicht nur interessant für Künstler etwa, sondern ist für jedermann interessant, aber ist auch die Frage, um zu Neugestaltungen in den verschiedenen Kraftfeldern der Gesellschaft zu kommen, eben im Kraftfeld der Freiheit, im Kraftfeld der Gleichheit und im Kraftfeld der Brüderlichkeit. Wenn sich dieser Kunstbegriff totalisiert, ist damit der Ökonomiebegriff totalisiert (vgl. hierzu J. Beuys: Das Museum, Wangen 1993, S. 44 ff).
Ja, das ist ganz klar. Das ist ein automatischer, selbstverständlicher Verlauf, wenn ich den Kunstbegriff sich nicht mehr beziehen lasse auf die Künstler oder die Kultur alleine, sondern sich beziehen lasse auf jedermanns Lebensformen, Gestaltungsfragen von jedermann und auf das ganze Problem des zu gestaltenden sozialen Organismus, dann ist dies die Weise der Produktion, ganz allgemein. Und damit ist geklärt, daß auch der Ökonomiebegriff sich totalisieren muß; denn er läuft ja gleich. Das ist ja ein sich integrierender Begriff.
Also, wenn ich jetzt die Kunst totalisiere über alle Kraftfelder des sozialen Organismus hinweg, springt mir von selbst der Begriff der Ökonomie zurück über alle Kraftfelder der Gesellschaft hinweg. Und es kann nur noch die Rede von 'Gestaltungen' sein: diese Gestaltung, diese Gestaltung und diese Gestaltung; diese Produktionsweise, diese Produktionsweise und diese Produktionsweise; diese Art der freien Unternehmen, diese Art der freien Unternehmen und diese Art der freien Unternehmen, nicht?
Und dann ist natürlich letztlich die Frage zu klären, wie sich das organisiert, wie das den Organismus durchzieht …
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