Mittwoch, 14. Mai 2008

Die Dekabristen - Die Brüder Christi in Russland [Декабристи в сибирь]

Die Brüder Christi in Rußland - Erinnerungen, Briefe und Zeitzeugen einiger Dekabristen
Illustriert, ausgewählt und übersetzt von Vincey, BoD 2004, geb., 604 S., 49,80 EUR
Als Alexander II. im Jahre 1855 Zar des russischen Imperiums wurde, war eine seiner ersten Amtshandlungen die Begnadigung der Dekabristen. Wer waren diese Leute, deren Einfluß auf die russische Kultur noch heute spürbar ist? Manchen Fachleuten sind sie gut bekannt, Genaueres wissen nur wenige; der breiten Öffentlichkeit in Deutschland sind sie völlig unbekannt. Das Buch versucht, Geschehnisse und Erinnerungen, welche mit dem Wirken und Leben jener sog. ersten russischen Revolutionäre verbunden sind, aufgrund authentischen Materials aus russischen Archiven, das bis zum heutigen Tag größtenteils noch nicht übnersetzt wurde, so zu verbinden, das ein lebendiger Eindruck dieser Menschen entsteht, durch den man mit einigem Staunen bemerkt: sie stehen uns viel näher und hatten ähnliche Probleme, wie sie uns auch heute noch sehr beschäftigen. Die Toten stehen noch einmal auf, um uns zu zeigen, was wesentlich und was unwesentlich im Leben ist, geben uns ein Gegengift zu den lauten und törichten Verführungen eines globalisierten Marktes.
Der Autor: "... Wir Menschen existieren nur in der Gemeinschaft. Und für diese Gemeinschaft müssen wir etwas tun, müssen wir aktiv werden - gerade dann, wenn wir satt sind. Die Dekabristen waren solche satten Menschen, die alles hatten. Sie hatten mehr, als wir uns je vorstellen können, denn sie besaßen eine fruchtbare Kultur. Wir sind heute aufgerufen, diese Kultur neu zu beleben, damit wir dem fortschreitenden Abbau kultureller Werte etwas entgegensetzen können, unseren Geist beleben und unsere Bereitschaft stärken, dann, wenn es nötig sein wird, all unsere Bequemlichkeiten zu opfern, damit für jene, die nach uns kommen, auch noch genug Kultur vorhanden ist, in der sie sich entfalten können. So haben die Dekabristen ihr Leben und dessen Sinn verstanden. Sie waren Störenfriede in einer Zeit, da nur wenige das Recht und die Möglichkeiten hatten, ihre Bequemlichkeit zu leben. Man hat sie weggesperrt - verbannt, damit man sie vergißt. Was taten sie aber? Sie kultivierten Sibirien und opferten ihr Leben im Kaukasus. Sie haben nichts von dem wirklich vermisst, was sie aufgaben, aufgeben mussten. Sie hatten alles, was man sich denken kann und gewannen mehr, als sie sich selbst vorstellen konnten: die Liebe unzähliger Nachgeborener ..." Joachim Winsmann (Vincey)

Hanns-Martin Wietek:
Die Dekabristen - Revolutionäre für Russland
Teil I: Geschichte in Dokumenten

„Endlich brachte mir mein Bruder Zeitungen und berichtete, mein Mann sei verurteilt worden. Man habe ihn und seine Gefährten auf dem Festungskronwerk degradiert.
Das war so vor sich gegangen: Im Morgengrauen des 13. Juli wurden alle Verurteilten auf dem Kronwerk versammelt und nach Kategorien getrennt vor dem Galgen aufgestellt. Sergej zog sich sofort den Offiziersrock aus und warf ihn ins Feuer, um zu vermeiden, dass man ihn ihm abriss. Es waren mehrere Feuer angezündet worden, in denen man die Uniformen und die Orden der Verurteilten verbrannte. Sie mussten niederknien und wurden degradiert, indem die Gendarmen auf den Köpfen der Delinquenten deren Säbel zerbrachen. Das geschah so ungeschickt, dass mehrere von den Männern Kopfverletzungen davontrugen. Nach der Rückkehr ins Gefängnis erhielten sie Zuchthausessen statt der gewohnten Verpflegung. Außerdem gab man ihnen Zuchthauskleidung -Jacke und Hose aus grobem grauem Tuch.
Dieser Szene folgte eine zweite, weitaus schrecklichere. Die fünf zum Tode verurteilten - Pestel, Sergej Murawjow, Rylejew, Michail Bestushew-Rjumin und Kachowski - wurden zur Richtstätte geführt. Man henkte sie, aber so grässlich unbeholfen, dass drei aus der Schlinge rutschten und noch einmal zum Schafott geführt werden mussten. Sergej Murawjow, der sich das Bein gebrochen hatte, lehnte es ab, gestützt zu werden, und Rylejew spottete: »Ich bin glücklich, zweimal für das Vaterland sterben zu dürfen. «
Ihre Leichen wurden in zwei Tröge gelegt, die mit ungelöschtem Kalk gefüllt waren, und auf der Insel Golodai begraben. Dort stand ein Posten, der keinen zu den Gräbern ließ. Ich kann bei dieser Szene nicht verweilen und sie genauer beschreiben, die Erinnerung schmerzt mich allzu sehr.
General Tschernyschow, später Graf und Fürst, spazierte um die fünf Galgen herum, betrachtete die Opfer durch seine Lorgnette und lachte.
Mein Mann verlor Titel, Vermögen und Bürgerrechte und wurde zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit sowie lebenslänglicher Verbannung verurteilt. Am 26. Juli schickte man ihn zusammen mit den Fürsten Trubezkoi und Obolenski, mit Dawydow, Artamon Murawjow, Jakubowitsch und den Brüdern Borissow nach Sibirien.“ - Weiterlesen im ZVABlog
Teil II: Die geistigen und geschichtlichen Hintergründe, die revolutionären Forderungen, die Literatur
Wenn man über Revolutionäre für Russland spricht, kommt man an einem Mann nicht vorbei, und das ist – so paradox es klingt – Zar Peter der Große (*1672, Regierungszeit 1682 bis †1725). Er schuf die Grundlage für alles, was später geschah. Er „prügelte“ die russische Gesellschaft brutaliter aus ihrer oblomowschen Trägheit: Er schnitt alte Zöpfe und Bärte ab – auch im wahrsten Sinn des Wortes und eigenhändig, nämlich jene der Adligen, der Bojarenfürsten. Er verordnete europäische Kleidung und bestrafte schwer, wer sich nicht daran hielt; er entmachtete die über alles bestimmende Kirche, enteignete Klöster (machte beispielsweise Krankenhäuser und Gefängnisse daraus), zwang die Mönche zur Arbeit, führte Militärreformen durch, führte in der Verwaltung Ränge ein, die es auch Nichtadligen erlaubten vorwärts zu kommen, ging gegen Korruption vor usw. Er reformierte die russische Schrift – latinisierte sie im Schriftbild, strich Buchstaben – und führte eine neue Literatursprache ein, weg vom alten Kirchenslawisch, hin zur Umgangssprache.
Peter der Große öffnete sein Land nach Westen und machte es zu einem Machtfaktor in der europäischen Völkerfamilie.
Als allmächtiger Imperator, wie er sich als erster Zar auch nennen ließ, setzte er seine Reformen mit Gewalt durch (anders war es nicht möglich!), sodass man ihn durchaus einen Revolutionär nennen könnte, einen „imperialen Revolutionär“, wenn es diese Bezeichnung denn gäbe. Er war so wenig zart besaitet wie jeder Revolutionär. Sein Ziel war es, den Staat zu modernisieren, die Gesellschaft umzukrempeln. Das Russland, das er schuf, hatte nur noch wenig mit dem alten Russland zu tun, auch wenn die feudale Ordnung weiterhin Bestand hatte.
Damit begann das 18. Jahrhundert. - Weiterlesen im ZVABlog

Die Dekabristen in Sibirien [Декабристи в сибирь] auf meinen Webseiten

Siehe auch: Die Prinzessin von Sibirien - Maria Wolkonskaja (1806-1863) in unserem Jugendbuch-Blog

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