Samstag, 12. Dezember 2009

Das Gemeinsame von Segeln und Unterrichten

Tobias Richter
Segeln – oder die Kunst des Unterrichtens. Briefe an einen, der es lernen will
144 S., 26 Vignetten, geb., ISBN 3-932386-29-9, EUR 17,80 (D), 18,50 (A), sFr 32,30
»Auf die Schiffe, ihr Philosophen!« Friedrich Nietzsche ... Die fesselnde Metapher des Segelns steht für die Kunst des Unterrichtens. Mehr noch: Das Segeln ist auch eine Metapher des Lebens, der Lebenskunst. Nur wer sich um diese Kunst bemüht, kann Erziehungskunst leben.
»Boote segeln an der Grenze zweier Medien, nämlich Luft und Wasser. Aus der Luft erhalten sie Antrieb; das Wasser trägt sie nicht nur, sondern es leistet auch Widerstand, der vom Antrieb überwunden werden muss.« (Seemannschaft)
Auch Lehrer sind Grenzgänger: Ihr Enthusiasmus, ihre Visionen – ohne diese gibt es keine Erziehung – treiben sie voran. Die Kinder (er)tragen sie nicht nur, sondern leisten auch Widerstand, der vom Antrieb überwunden werden kann. Hier wie dort kommt nun die Kunst ins Spiel. Wählt ein Lehrer diese, bemüht er sich um sie, wird sie auch seinen Unterricht ergreifen. Kunst meint hier Gestaltung im Dialog, kein Selbstgespräch, nicht Einprägung einer Idee in den Stoff, sondern Verwandlung des Stoffes, damit ein Nicht-Sichtbares sichtbar wird.
Jedes Kind trägt einen unsichtbaren Menschen in sich, wie auch jeder Mensch ein unsichtbares Kind in sich trägt. Diesem zur Erscheinung zu verhelfen, kann eine Aufgabe der Erziehung, ein Motiv des Unterrichtens sein. Heute meint man vielleicht, der Segler möchte bei der Ausübung seiner Sportart dem hochtechnisierten Alltag für geraume Zeit entfliehen. Doch beim Segeln verlässt man nicht die Welt – ganz im Gegenteil! Der Segler begibt sich auf besondere Weise in die Abhängigkeit von natürlichen, physikalischen und technischen Gesetzmäßigkeiten, die er sonst im Alltag kaum spürt. Für den Lehrer gilt Ähnliches. Die Schule ist kein Ort der Weltflucht, vielmehr einem lebendigen Gewässer vergleichbar, auf welchem es möglich ist, in Abhängigkeit von den natürlichen Rhythmen der kindlichen Entwicklung »Fahrt zu machen«. Gelingt dies, kann unterrichten auch Freude bereiten und erquicklich sein.
»Ein Segelboot« – so Francis Heresoff – »ist ein Gegenstand der Kunst und als solcher ein Gegenstand der fortwährenden Freude, denn eine Yacht soll hauptsächlich Vergnügen bereiten.« Wenn in diesem Buch – und es soll nicht eines nur für Segler sein! – auch von Strandungen und Schiffbrüchen berichtet wird, dann deshalb, um zu zeigen, dass schiffbrüchig-sein nicht untergehen bedeutet …
Inhalt
Die Kunst des Segelns und die Kunst des Unterrichtens zwischen techne und poiesis. Befähigungsnachweise und gute Seemannschaft.
Theorie und Praxis. – Bootskonstruktionen und was sie bewirken. Meide das Seichte! Die Verhältnismäßigkeit zwischen Segelfläche und Ballast. Wie man die Mitte hält und in Fahrt bleibt.
Die Langweiligkeit von Ratschlägen und die Romantisierung von Realitäten. Bitte um Erläuterungen zum Hilfsmotor.
Gute Gründe, einen Hilfsmotor zu besitzen. Verlass dich nie blind auf ihn, er soll nur Helfer in Notsituationen sein. Was alles zum Hilfsmotor werden kann.
Erfahrungen mit dem Hilfsmotor. Was alles zum Hilfsmotor werden kann.
Die »Hansensche Seekuh« von John Steinbeck.
Der Antrieb ist der Wind. Der Wind ist Atem. Erziehen heißt, richtig atmen lehren. Scheinbarer Wind und wahrer Wind. Das Verhältnis zwischen Illusion und Wirklichkeit.
Der Kompass als Instrument; zur Navigation unerlässlich, aber mit Vorbehalt anzuwenden: Sich auf den Kompass zu verlassen bedeutet Sicherheit, nur nach dem Kompass zu fahren, Pedanterie
Die Erquicklichkeit, Neuland erkunden zu wollen, Gewohnheiten zu verlassen, sich dem Irrtum auszusetzen. Widersprüchlichkeiten als Notwendigkeiten entdecken. Die Fehlweisung darf nicht vernachlässigt werden.
Vorwurf der Besinnlichkeit und Stagnation.
Ankündigung eines erlebnispädagogischen Segeltörns für Kim.
Tagebuch des Segeltörns mit Kim.
Neue Erfahrungen werfen neue Fragen auf. Alles scheint anders geworden zu sein. Was bin ich in der Biographie der Schüler?
Die Wichtigkeit des Fragen-Könnens. Wurde vor der Reise praktisch oder nur theoretisch geübt? Hast du deine Schwächen gezeigt oder warst du ein Schiff ohne Lichterführung? – Jugendliche verlangen Lichterführung, Kinder Leuchttürme.
Empörter Hilfeschrei des Schiffbrüchig-Gewordenen.
Schiffbrüchig heißt, nicht ertrinken. Bootsreparaturen, selbst gemacht: Stelle ein Notrigg auf, bringe dein Boot mit Bordmitteln wieder in Fahrt.
Dank für den Hinweis auf Bordmittel: Gedankenkontrolle, Willensübung, Gelassenheit, Positivität, Unvoreingenommenheit und inneres Gleichgewicht. Die Bootsschäden müssen austrocknen, bevor sie repariert werden können.
Bootssanierung verlangt genaue Materialkunde. Der Umgang mit dem Unterwasserschiff bleibt lange verborgen – der Umgang mit den Segeln bekundet, wie der Sportsmann die Schwingen seines Schiffes behandelt.
Panta rhei, alles fließt – der gewaltige Atem des Meeres: Ebbe und Flut; der Rhythmus ist vom Himmel abhängig. Mit dem Rhythmus leben, erleichtert eine gute Fahrt. – Vom Wind beeinflusste und hervorgerufene Strömungen. Der Mainstream erzeugt immer auch Neerströme, die man nutzen sollte. Gegen den Strom anlegen! Lehrerkollegien sind Häfen, in denen Wind weht und Strom steht, das müssen Neuankömmlinge wissen. – Auch Wassertiefen beeinflussen die Stromrichtung. Beachte immer die Stromkanten; Unterwasserhindernisse kündigen sich so an. Das Unterwasserschiff ist gefährdet. Wisse um das Unsichtbare!
Der unsichtbare Mensch – wer ist das? Wo können wir ihm begegnen? Die wissenden Augen der Alten. Wie alt sind die Kinder wirklich? Das Lesenlernen des Unsichtbaren – dazu muss der Blick in die Weite wie auch aufs Zentrum gerichtet sein.
Die Frage nach dem Unsichtbaren ist eine Navigationsfrage nach dem Woher und Wohin. Die westliche Navigationstechnik im Unterschied zur polynesischen. Nicht der wahre Ort ist das allein Entscheidende, sondern der Ausgangsort und das Ziel. Man muss die Leitsterne kennen und den Sternenkompass. Die Nacht in den Unterricht miteinbeziehen, da kann der Unsichtbare mitarbeiten. Ein guter Kamerad der Natur werden bedeutet die Überwindung des westlichen Zuschauerstandpunktes – ein wichtiges Ziel für Navigatoren, wie auch für Lehrer.
Die westliche Navigation hat auch etwas für sich – sie ist mehr techne als poiesis, mehr Wissenschaft als Kunst. Der Lehrer als Vorschoter des unsichtbaren Menschens. – Bemerkungen über das in schweres Wetter geratene Schiff und Nachfrage, wo eventuell Rettungshilfe angefordert werden kann.
Ende des Briefwechsels. Der Freund ist nicht mehr zu finden, dafür aber Kim. Der frühere Schüler erzählt einiges von seinem Lehrer. Ein Abschiedsbrief und die Flaschenpost im Watt.
Kleines Seglerlexikon

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